Istor-O-Nal Expedition 1996
Jubiläumsexpedition der ÖAV Sektion Edelweiß, Hindukusch, Pakistan
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Höhenbergsteigen - Theorie und Wirklichkeit
Wer aus dem bergbegeisterten Volk hat nicht schon mit glühenden
Ohren die Bücher von Bergsteigern wie Diemberger und Tichy gelesen
oder mit klopfendem Herzen die Bilder eines Diavortrags betrachtet?
Und wer hat sich nicht schon ausgemalt, an jener Stelle zu sein, sich
allen Mühsalen trotzend Schritt für Schritt zum Gipfel
hoch zu kämpfen?
Wenn du dem Wunsch, einmal einen großen, einen hohen, einen
"Weltberg" zu besteigen, endgültig erlegen bist,
fängst du an, dich nach einer passenden Expedition umzuhören.
Vielleicht ziehst du auch in Erwägung, bei einer komerziell
organisierten Tour mitzumachen.
Langsam nehmen die Pläne zur Verwirklichung deines Traums
konkretere Gestalt an.
Schließlich findest du das Projekt, die Expedition,
und der Gedanke daran läßt dich einfach nicht mehr los.
Vorfreude und Ungewißheit
Die Entscheidung ist oft nicht leicht: persönliche
Fähigkeiten,
technisches Können, Zusammensetzung der Gruppe, Finanzierung ...
Fragen über Fragen drängen sich auf. Doch der Appetit, die
Sehnsucht wird immer größer, und schließlich kannst du nicht
anders als zu sagen: "Ich bin dabei !".
Damit bist du auch schon mitten d'rin in dem, was man als
Theorie einer Expedition bezeichnen könnte, nämlich den
Vorbereitungen.
Wieder liest du etliche Bücher und Berichte und fragst
erfahrerene Leute über ihre Erlebnisse aus. Doch wirklich vorstellen
kannst du dir nicht, was es heißt, auf 6000 m zu schlafen, auf 7000 m
mühsam einen Fuß vor den anderen zu setzten oder sich bei -25 Grad C
aus dem Schlafsack zu quälen.
Also verlegtst du dich auf's Kondition Schinden, frischst deine
Kenntnisse über Höhenmedizin auf und versuchst, dir einige
goldene Regeln einzuhämmern:
Eine gute Akklimatisation ist schließlich das Um und Auf beim
Höhenbergsteigen.
Weiters muß die Ausrüstung organisiert werden.
Hier tut man sich als Neuling oft besonders schwer. Was braucht man alles?
Wie kalt ist es "da oben" wirklich?
Wieder fragst du herum, studierst Kataloge, treibst Verkäufer in den
Wahnsinn. Ausrüstungslisten früherer Expeditionen helfen zwar,
doch wenn es gilt, Kompromisse zwischen Preis und Leistung zu finden,
muß man immer noch selbst entscheiden.
Wenn du bei einer privat organisierten Expedition mitmachst, müssen
auch Sponsoren gefunden werden. Kontakte knüpfen, Briefe schreiben,
telefonieren - ein oft frustrierendes Unterfangen.
Schließlich ist doch alles beisammen. Kondition und Motivation passen.
Den Versuch, allzu besorgte Freunde zu beruhigen oder deine
"Risikobereitschaft" zu rechtfertigen, hast du längst aufgegeben.
Wer kann diese Faszination schon in Worte fassen?!
Du schwelgst in Vorfreude gemischt mit der Ungewißheit, was dieses
Abenteuer nun wirklich bringen wird.
Nach einem langen, schier endlosen Flug der erste Eindruck von
deinem Gastland. Geht es wie bei uns in den Hindukusch, landest du
zuerst in Islamabad.
Subtropische Schwüle empfängt dich, die dir sofort die Kleider
am Leibe kleben läßt. Der zweite Eindruck: Gottes Mühlen mahlen hier
besonders langsam. Man seufzt "Inshallah" (so Gott will)
und fügt sich ins Warten, während der Expeditionsleiter und sein
Stellvertreter Tage und Nächte mit dem Kampf gegen bürokratische
Hürden verbringen. Mit den Sitten des Landes nicht vertraut, kannst
du auch nicht viel helfen.
Endlich ist das Cargogepäck frei, das Briefing erledigt, und
das Team kann zu "seinem" Berg aufbrechen. Die Reise in das
jeweilige Gebiet, ob mit Flugzeug, Bus oder Jeep, wird zum Abenteuer
für sich.
Dann endlich die erste Nacht im Zelt; die erste Nacht in guter Luft,
bei angenehmer Temperatur, ohne ratternde Kimaanlagen und ohne
Malaria-Mücken. Herrlich!
Am nächsten Tag bricht - oft erst nach langen und schwierigen
Verhandlungen - eine Karawane aus Trägern und/oder Tragetieren
in Richtung Basislager auf.
Dieses Getümmel ist unbeschreiblich, man muß es
selbst erlebt haben! Nach kurzer Zeit hat sich der Trupp weit
auseinander gezogen. Jeder marschiert im eigenen Tempo dahin.
Da hörst du hinter dir eilige Schritte und trittst zur Seite.
Einige Träger lächeln freundlich und sind auch schon vorbei.
100 Meter weiter setzten sie stöhnend ihre schweren Lasten ab.
Kein Wunder, diese dünnen Riemen müssen furchtbar schmerzen.
Doch kaum hast du aufgeholt, ziehen auch sie schon weiter. Mit
bewundernswerter Geschicklichkeit balanzieren sie steile Abhänge
entlang, überqueren Bäche, springen über Gletscherspalten.
Und das mit einfachsten Turnschuhen aus Plastik.
Sie leisten Unglaubliches! Beschämt fragst du dich, was sie von uns
Europäern, die wir mit leichtem Gepäck und ängstlich auf gute
Akklimatisation (die wir sicherlich nötig haben) bedacht dahinziehen, wohl
denken mögen. Auch das gehört zur Wirklichkeit einer Expedition.
Oba vom Gas !
Eine andere Wirklichkeit: Ein Lager, vielleicht auf 3500 m, kurz nach dem
Abendessen. Im Laufschritt verläßt du das Mannschaftszelt und
verschwindest hinter dem nächsten Busch. Schade um das gute Essen!
Die halbe Nacht verbringst du so im Freien. Am nächsten Tag fühlst
du dich schrecklich. Dir ist immer noch übel, und jeder Bissen
will wieder hoch kommen.
Was ist bloß los? Du steigst doch sonst problemlos auf jeden
4000er und hier auf dreieinhalb ... ?!?
Es mögen vielerlei Gründe zusammengespielt haben.
Ich hab' es selbst erlebt, im Birkenwaldlager. Ich war zwar
ausgezeichnet trainiert aber nicht ausgeruht, vor allem nicht geistig:
vor der Abreise beruflicher Streß, wenig Schlaf, im letzten Moment
noch dieses und jenes Ausrüstungsstück besorgt; dann der
anstrengende Flug, der Klimawechsel (Hitze, v.a. Schwüle vertrage
ich ohnehin schlecht), dazu Durchfall vom ungewohnten Essen.
Zu guter Letzt der Aufstieg in dieses Lager: Die grandiose
Landschaft, das Getümmel der Träger, alles ist neu und faszinierend.
Es gibt so viel zu schauen, so viel zu fotografieren. Im Hinterkopf
echot noch die Warnung "Immer langsam und stetig gehen,
immer langsam und stetig ...." 300 Höhenmeter pro Stunde
sind doch langsam, wenn man sonst locker 700 hinlegt, oder?
Und fotografieren muß man einfach, auch wenn der Aufstieg dadurch
zum Intervalltraining wird.
So schnell relativiert sich Regel Nr. 1.
Zu Hause würdest du in diesem Zustand im Bett bleiben, doch es hilft
nichts, die Zeit drängt und es geht weiter.
Also schreibst Du Regel Nr. 4 in den Wind und schleppst du dich weiter,
als hättest du Blei in den Gliedern.
Du weißt, daß du trinken mußt, doch jeder Schluck erzeugt neue
Übelkeit. Wie gut jetzt der Beistand des Kameraden tut, der mit dir
dem Trupp hinterher zieht! Endlich das nächste Lager. Die Zelte
sind schon aufgebaut; du wankst in eines hinein und legst dich schlafen.
Am nächsten Morgen geht es schon viel besser. Alles ist noch 'mal
gut gegangen, und du freust dich schon auf den Weiterweg.
Deine Lektion hast Du aber gelernt. Das passiert dir nicht noch mal!
Mehr als nur ein Berg
Auch das Basislager hält etliche Überraschungen bereit. Als
erstes nimmst du zur Kenntnis, daß auch hier alles langsam geht.
Selbst die einfachsten Arbeiten strengen an und brauchen Zeit.
Die ersten Tage werden hauptsächlich mit organisatorischen
Arbeiten verbracht.
Allmählich gewöhnst du dich an die Höhe, und alles geht wieder
leichter. Du freundest dich mit den Köchen an, entdeckst die Wunder
deiner Umwelt (wo wachsen sonst auf über 4000 m noch Blumen?)
und die Eigenheiten deiner Kameraden.
Dann beginnt der Pendelverkehr zwischen Basislager und den Hochlagern.
Eine Gruppe geht voraus, erkundet und sichert den Weg, baut Zelte auf.
Die nächste folgt mit mehr Ausrüstung und Lebensmitteln.
Dann wieder zurück ins Basislager, immer hin und her, auf und ab.
Die Szenerie ist beeindruckend: gigantische Gletscher mit bizarren
Eistürmen, riesigen Eisbrüchen und Seracs.
Die Dimensionen sind gewaltig, Entfernungen kaum noch zu schätzen.
Du bist von den Eindrücken fast erschlagen. Falls du es noch nicht
gemerkt hast, begreifst du jetzt: Eine Expedition ist mehr als nur
eine Bergbesteigung - sie ergreift dein Innerstes.
Doch zurück zu den Kameraden. Stärken und Schwächen
kristallisieren sich heraus. Einige sind ausgezeichnet akklimatisiert
und schleppen wie die Wasserbüffel. Anderen geht es nicht so gut,
manche haben Probleme mit der Höhe. Wird das Team zusammen halten?
Du willst jedenfalls deinen "Beitrag" leisten. Also packst du
in den Rucksack, was dir zugeteilt wurde. Natürlich ist der Rucksack
viel zu schwer - jeder Rucksack ist zu schwer. Anfangs geht es noch
gut dahin, doch bald wird dein Päckchen immer schwerer, die Luft
wird immer dünner, deine Schritte immer langsamer.
Mit letzter Kraft schleppst du dich ins Lager.
Wie war das mit Regel Nr. 1? Du findest einen Leidensgenossen, der
sich Tags zuvor verausgabt hat und gesellst dich zu ihm. Er klagt
über Übelkeit und Kopfweh und will nicht angesprochen werden.
Mittlerweile ist es Mittag. Die Sonne sticht herab, und es gibt
nichts, wo man sich verstecken könnte. Auch die Zelte bieten keinen
Schutz. Wer hätte gedacht, daß hier HITZE zum Problem werden
könnte?!?
Dafür wird es umso kälter, sobald die Sonne weg ist. Das Abendessen
sollte also vor Sonnenuntergang zubereitet sein. Am besten richtet man
auch gleich eine Thermoskanne mit heißem Wasser für das Frühstück
her. Gegessen wird im Zelt, mit Daunenjacke, Handschuhen und den
Füßen im Schlafsack.
Nächte sind auf Expeditionen sehr lang. Entsprechend gut lernst
du deinen Zeltnachbarn kennen. Für tiefsinnige Gespräche ist ja
genügend Zeit.
Doch manchmal ist es selbst dafür zu kalt; dann wird der Walkman
zum besten Freund. Das Gerät dicht am Körper um die Batterien
etwas aufzuwärmen lauscht man der schon ausgeleierten Kassette, in der
Hoffnung, sich irgendwann doch so weit erwärmt zu haben, daß man
schlafen kann. Im Hochlager hat man natürlich keinen Walkman.
Dann hilft nur die Phantasie.
Zeit relativiert sich unter diesen Bedingungen, bekommt eine neue
Bedeutung. Vieles bekommt eine neue Bedeutung.
Du hast das Gefühl, dem "Wesentlichen" näher zu kommen,
was auch immer das im Einzelfall bedeuten mag.
Gegen Ende unserer Expedition verbrachte ich drei Tage mit Anita
im Lager 1 auf 5600 m. Wir waren völlig abgeschnitten
von den Gefährten, die teils im Basislager sassen, teils irgendwo
zwischen Lager 2 und Gipfel unterwegs waren. Ein Versuch, diese Zeit zu schildern,
würde kläglich scheitern, aber sie gehört sicher zum Schönsten, das
ich je in den Bergen erlebt habe.
Vorbei ist nicht vorbei
Wer nun glaubt, nach einer Expedition einfach zur Tagesordnung
übergehen zu können, irrt gewaltig. Erstens haben all die
durchgestandenen Strapazen nun endlich Gelegenheit zurückzuschlagen;
sie tun dies auch mit Genuß und schalten dich zumindest für einige Tage
auf Sparflamme. Die rein körperliche Erholung geht jedoch relativ schnell.
Viel schwieriger ist es, sich wieder in unserer westlichen,
"zivilisierten"
Welt einzuleben. Denn wenn du nur etwas
offen bist für das Land und seine Leute, für die Schönheit und
die Einsamkeit deines Berges, kehrst du als anderer - als
reicherer - Mensch zurück. Doch einen Teil von dir hast du auch
dort gelassen.
Der Traum war, einmal eine Expedition gemacht zu haben? Nein, das
kann kein Abschied auf Dauer gewesen sein.
Ich möchte wieder kommen!
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